07.10.2024
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
OLG Celle
09.01.2024
6 W 175/23
NJW-RR 2024, 278
Sittenwidrigkeit eines notariellen Testaments zugunsten der Betreuerin [ PDF ]
Der Senat hält an seiner Rechtsprechung (6 U 22/20, Urteil vom 7. Januar 2021) fest, dass ein (notarielles) Testament sittenwidrig sein kann, wenn eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einem von ihr herangezogenen Notar in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen (hier: 92-jährige, kranke Erblasserin, nach dem unmittelbar vor Einrichtung der Betreuung eingetretenen Tod ihrer Tochter ohne Angehörige, testiert vor einem von der Betreuerin beauftragten Notar zwei Wochen nach Einrichtung der Betreuung zugunsten der Betreuerin).
Für die 1930 geborene Erblasserin wurde nach dem Vorversterben ihres Ehemannes und ihrer einzigen (geschiedenen und kinderlosen) Tochter die Beteiligte zu 1) zur Betreuerin bestellt. Bei der Anhörung der als „sehr verzweifelt“ beschriebenen Erblasserin durch die Betreuungsrichterin gab diese an, ein Testament zugunsten der Kirche machen zu wollen. Die Beteiligte zu 1) beauftrage sodann einen Notar zur Erstellung eines notariellen Testamentes. In diesem Testament wurde die Beteiligte zu 1) als „alleinige und uneingeschränkte Erbin [des] gesamten Nachlasses“ eingesetzt. Hintergrund sei „die Dankbarkeit über die Pflege, welche die Erbin [der Erblasserin] seit ihrer Bestellung als Betreuerin zukommen lässt“. Zudem wurde der Kirchengemeinde der Erblasserin ein Vermächtnis i.H.v. 10.000 € zugewendet. Den Reinwert ihres Vermögens gab die Erblasserin mit ca. 350.000 € an.
Kurz darauf verstarb die Erblasserin.
Im weiteren Verlauf ordnete das AG Nachlasspflegschaft an. Der Beteiligte zu 2) wurde zum Nachlasspfleger bestellt.
Daraufhin beantragte die Beteiligte zu 1) einen Erbschein, der sie als Alleinerbin der Erblasserin ausweisen sollte. Das AG lehnte dies ab - das Testament sei sittenwidrig und daher unwirksam.
Gegen diesen Beschluss hat die Beteiligte zu 1) Beschwerde eingelegt.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Bereits an der Testierfähigkeit der Erblasserin bestehen erhebliche Zweifel. Gem. § 2229 Abs. 4 BGB kann ein Testament nicht errichten, „wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln“. Bereits der Hausarzt der Erblasserin hatte jedoch „Zweifel an der Testierfähigkeit […], alleine aufgrund des schlechten Allgemeinzustandes mit Todeswunsch (stand im Entlassungsbrief der Klinik) und unter der bestehenden Medikation.“
Einer Entscheidung über die Testierfähigkeit der Erblasserin bedarf es hier jedoch nicht. Das Testament ist unter Würdigung aller Umstände gem. § 138 BGB sittenwidrig und daher nichtig.
Der Senat hält dabei an seiner früheren Entscheidung fest, dass ein Testament des Betreuten zugunsten des Betreuers als sittenwidrig anzusehen ist, wenn der Berufsbetreuer seine gerichtlich verliehen Stellung dazu benutzt, den Erblasser gezielt dazu zu bewegen, letztwillig in seinem Sinne zu verfügen.
Zu berücksichtigen sind bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit nicht nur der Inhalt des Rechtsgeschäftes, sondern auch die Umstände, die zur Vornahme des Rechtsgeschäfts geführt haben.
Vorliegend ist die Erblasserin im Zeitpunkt der Beurkundung des notariellen Testamentes 92 Jahre alt. Sie hatte nach dem kürzlichen Tod ihrer Tochter keine Angehörige und bereits vor dem Ableben der Tochter „keinen Lebenswillen mehr“ (Stellungnahme Krankenhaus, in dem Erblasserin und Tochter behandelt wurden). Ihr Gesundheitszustand war allgemein schlecht. Sie litt unter einer chronisch depressiven Erkrankung und einer derzeit schweren Episode in Kombination mit Trauerreaktion. Bereits vorher habe eine senile Depression bestehen können. Der Hausarzt der Erblasserin statuierte bereits vor dem Ableben der Tochter: „[Die Erblasserin] war über die Jahre hin weltfremd geworden, konnte schlecht hören und lebte mit ihrer psychisch kranken und körperlich immer mehr verfallenden Tochter in einer Wohnung.“
Zudem wurde der für die Erstellung des notariellen Testamentes zuständige Notar nicht von der Erblasserin beauftragt, die trotz ihres Zustandes ohne Weiteres dazu in der Lage gewesen wäre, sondern von der Beteiligten zu 1). Bereits in der ersten Kontaktaufnahme durch die Beteiligte zu 1) habe der Notar festgestellt, dass die Beteiligte zu 1) - entgegen eigener Aussage - wusste, dass sie zur Erbin eingesetzt werden sollte. Den Notar habe sie sodann auf dem Wege zur Erblasserin „flankierend begleitet“. Die Beteiligte zu 1) wusste als Bankbevollmächtigte um die finanziellen Verhältnisse der nicht unvermögenden Erblasserin.
Der Notar hatte zwar - bemerkenswerterweise - „keinen Anhaltspunkt für eine Sittenwidrigkeit gefunden“, beschrieb die Situation gleichwohl als „sehr ungewöhnlichen Vorgang“.
Außerdem erscheint die Begründung für die Erbeinsetzung fraglich. So erfolgte der testamentarische Dank für die Pflege durch die Beteiligte zu 1) bereits zwei Wochen nach deren Bestellung. Zu dieser Zeit hielt sich die Erblasserin jedoch maßgeblich im Krankenhaus auf. Darüber hinaus war die Beteiligte zu 1) lediglich die rechtliche Betreuerin der Erblasserin.
Ein, wie von der Beteiligten zu 1) beschriebenes, nach dem Tod der Tochter entstandenes „zweites Mutter-Tochter-Verhältnis“ entbehrt jeder tatsächlichen Grundlage.
Erschwerend hinzu kommt die Mitteilung des Beteiligten zu 2), der der Beteiligten zu 1) die Aussage, es ginge ihr nicht ums Geld, sondern um die Durchsetzung des Willens der Erblasserin, „schlicht und ergreifend nicht“ geglaubt habe.
In der Gesamtschau der Umstände gelangt der Senat daher zu der Auffassung, das notarielle Testament zugunsten der Beteiligten zu 1) sei sittenwidrig und somit nichtig.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Die Sittenwidrigkeit eines (notariellen) Testamentes kann sich nicht nur aus dessen Inhalt, sondern auch aus den Umständen, die zur Vornahme des Rechtsgeschäftes führen ergeben.