BGH III ZR 139/20
Stiftungsrecht: Vertragsschluss mit Vorgründungsgesellschaft; Vertretungsmacht des Vorstands einer im steuerlichen Sinne „gemeinnützigen“ Stiftung

08.11.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
15.04.2021
III ZR 139/20
ZIP 2021, 1160

Leitsatz | BGH III ZR 139/20

  1. Die Auslegung eines vor Abschluss des Gesellschaftsvertrags von den Gründern eingegangenen Rechtsgeschäfts kann ergeben, dass ausschließlich die erst zu gründende, noch nicht existierende GmbH berechtigt und verpflichtet werden soll. In diesem Fall ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts unter der aufschiebenden Bedingung der Entstehung der GmbH steht. Ein solches Rechtsgeschäft ist nach § 177 BGB genehmigungsbedürftig (Anschluss an und Fortentwicklung von BGH, Urteile vom 20. Juni 1983 - II ZR 200/82, NJW 1983, 2822; vom 7. Mai 1984 - II ZR 276/83, BGHZ 91, 148, 153; vom 13. Januar 1992 - II ZR 63/91, GmbHR 1992, 164 und vom 7. Februar 1996 - IV ZR 335/94, WM 1996, 722, 723). (Rn.24)
  2. Die Vertretungsmacht des Vorstands einer Stiftung ist gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 86 Satz 1 BGB umfassend und unbeschränkt, soweit sie nicht nach § 26 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 86 Satz 1 BGB durch die Satzung beschränkt wird. Einer generellen Einschränkung durch den Stiftungszweck unterliegt sie nicht (Aufgabe von BGH, Urteile vom 30. März 1953 - IV ZR 176/52, GRUR 1953, 446 und vom 16. Januar 1957 - IV ZR 221/56, LM Nr. 1 zu § 85 BGB). (Rn.32)
  3. Eine die Vertretungsmacht des Stiftungsvorstands einschränkende Satzungsbestimmung wirkt gegenüber Dritten nur, wenn sie auch den Umfang der Beschränkung klar und eindeutig regelt. Einer näheren Konkretisierung des Kriteriums der steuerrechtlichen "Gemeinnützigkeit" bedarf es dabei grundsätzlich nicht. (Rn.41)

Sachverhalt | BGH III ZR 139/20

Die Klägerin behauptet im Wege einer Teilklage einen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte wegen der Nichterfüllung eines Verwertungs- und Vermarktungsvertrags.

Die Beklagte ist eine Stiftung bürgerlichen Rechts, welche Versorgungskonzepte für das Krankheitsbild „Schlaganfall“ entwickelt. In ihrer Satzung setzt sie unter anderem fest, dass sie ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke verfolgt. Darüber hinaus wird sie durch ihren Vorstand nach außen vertreten. Dabei sollen jeweils zwei Vorstandsmitglieder gemeinschaftlich und der Vorsitzende des Vorstands allein zur Vertretung berechtigt sein.

Da der Vorstand beschloss zukünftig als „sozialer Unternehmer“ tätig zu sein, gründete sie mit Gesellschaftsvertrag vom 19.06.2012 eine Managementgesellschaft, die Klägerin (Eintragung in das Handelsregister am 16.07.2012).

Vor der Gründung der Klägerin sollte die Übertragung von Nutzungsrechten an den Produkten der Beklagten durch einen „Verwertungs- und Vermarktungsvertrag“ geregelt werden. Vertragspartner dieses Vertrages sind die damalige Vorstandsvorsitzende der Beklagten und die Gründungsgesellschafter der Klägerin. Die Einräumung der Nutzungsrechte sollte erst mit Eintragung der Klägerin in das Handelsregister wirksam werden.

In der Folgezeit entwickelten sich Zweifel an der Vereinbarkeit des Vertrages mit den steuerlichen Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit (§§ 51 ff. AO). Nach erfolglosen Verhandlungen über eine andere Ausgestaltung der Vertragsverhältnisse ficht die Beklagte schließlich den Vertrag an und spricht hilfsweise die Kündigung aus wichtigem Grund aus. Daraufhin erklärt auch die Klägerin die fristlose Kündigung des Vertrages.

Die Klägerin verlangt die Zahlung von 25 Millionen Euro Schadensersatz wegen der Nichterfüllung des Verwertungs- und Vermarktungsvertrags, hilfsweise wegen der Verweigerung der Vertragsanpassung durch die Beklagte. Die Beklagte wendet ein, ein Vertrag sei nicht wirksam zustande gekommen, da die Klägerin erst später gegründet und mithin nicht Vertragspartei sei. Auch liege eine Überschreitung der Vertretungsmacht der Vorstandsvorsitzenden der Beklagten vor.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts hat Erfolg. Die Beklagte verlangt mit der Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidung | BGH III ZR 139/20

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet und führt mithin zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Das Berufungsgericht habe die Zulassungsentscheidung mit höchstrichterlich bislang nicht geklärten Fragen zur Auslegung der Satzungsbestimmungen und zum Umfang der Beschränkungen der Vertretungsmacht des Stiftungsvorstands begründet, was allerdings nicht zu einer Beschränkung der Revisionszulassung führen könne. Dies liege daran, dass es sich um einen nichtabtrennbaren Teil des Streitstoffs handele. Die Revision wurde mithin uneingeschränkt zugelassen.

Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sei die Annahme, die Klägerin sei Vertragspartei des Verwertungs- und Vermarktungsvertrages geworden. Verpflichtungen, die eine Vorgründungsgesellschaft (nicht gleichzusetzen mit der Vor-GmbH) eingeht, gingen zwar nicht automatisch auf die Vor- beziehungsweise die GmbH über. Die Auslegung des Vertrages könne hingegen ergeben, dass die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts unter der aufschiebenden Bedingung der Entstehung der GmbH stehen soll, was die Parteien in der Ausfertigung ihres Vertrages hinreichend deutlich gemacht hätten. Die gemäß § 177 BGB erforderliche Genehmigung des Rechtsgeschäfts durch die GmbH sei spätestens konkludent mit Klageerhebung der Klägerin erteilt worden.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts führe jedoch die Unvereinbarkeit des Vertragsschlusses mit dem gemeinnützigen Zweck der Stiftung zu einer Überschreitung der Vertretungsmacht der Beklagten. Die Vertretungsmacht des Vorstands einer Stiftung sei gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 86 Satz 1 BGB umfassend und unbeschränkt. Insbesondere ergebe sich keine Einschränkung durch den Stiftungszweck. Die Annahme der früheren Rechtsprechung, eine Einschränkung könne durch die Eigenart der Stiftung vorliegen, gibt der Senat ausdrücklich auf. Der Vorstand habe die Stellung eines gesetzlichen Vertreters, dessen Vertretungsmacht unbeschränkt sei, solange die Satzung nicht im Einzelfall einschränkende Regelungen enthält. Ebenfalls spreche die systematische Einordnung des § 26 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB als Ausnahmecharakter für eine enge Auslegung der Norm.

Die Vertretungsmacht der Vorstandsvorsitzenden sei ausdrücklich durch die Ausgestaltung der Satzungsregelungen nach außen hin gemäß § 26 Abs. 1 Satz 3 BGB beschränkt worden. Die Auslegung des Wortlauts der Satzung und der Umkehrschluss der Möglichkeit einer weitergehenden Beschränkung im Innenverhältnis lassen eindeutig erkennen, dass nicht lediglich die Befugnisse im Innenverhältnis, sondern die Vertretungsmacht nach außen auf Handlungen mit dem Zwecke der Gemeinnützigkeit beschränkt werden soll. Der umstrittene Verwertungs- und Vermarktungsvertrag sei mit den gemeinnützigkeitsrechtlichen Vorschriften der §§ 51 ff. AO nicht zu vereinbaren. Es liegt mithin kein Vertrag vor, aus dem sich ein Schadensersatzanspruch der Klägerin ergeben könne. Auch kommen außer- und vorvertragliche Schadensersatzansprüche nicht in Betracht.

Praxishinweis | BGH III ZR 139/20

Sollte ein Vertragsschluss mit einer gemeinnützigen Stiftung angestrebt werden, der möglicherweise gegen die Kriterien der Gemeinnützigkeit verstößt, sei es empfehlenswert, sich zunächst mit der Satzung der Stiftung vertraut zu machen. Sollte es sich um eine gemeinnützige Stiftung handeln, kommt es insbesondere auf die eindeutige Ausgestaltung und Auslegung der Satzung an, um eine mögliche Beschränkung der Vertretungsmacht der Vertretungsberechtigten feststellen zu können. Insbesondere bei Vorliegen einer solchen Beschränkung ist zu beachten, dass die Wirksamkeit des Vertrages insbesondere nicht schon deshalb gesichert ist, weil etwa das Vertrauen und der Schutz des Rechtsverkehrs vorrangig zu behandeln sind. Vielmehr bietet § 179 BGB in einem solchen Fall hinreichenden Schutz.