28.11.2024
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
BGH
14.06.2024
V ZR 8/23
NJW 2024, 3066
Widerlegung der Vermutungsregel des § 139 BGB bei nicht protokollierter Vorauszahlungsabrede [ PDF ]
Der Vater der Beklagten (Erblasser) verkaufte mit notariellem Vertrag vom 23. März 2017 einen hälftigen Miteigentumsanteil an seinem Grundstück zu einem Kaufpreis von 40.000 € an eine GmbH, deren Geschäftsführer der Kläger war. Der Kläger zahlte an den Erblasser 70.000 € per Überweisung unter Angabe des Verwendungszwecks „975/23.3.2017“ sowie einen Monat später weitere 10.000 € mit dem Verwendungszweck „Restzahlung 975/23.3.2017“. Der Kaufvertrag wurde vollzogen. Am 8. November 2018 schlossen der Erblasser und der Kläger einen weiteren notariellen Kaufvertrag über die zweite Miteigentumshälfte zu einem Kaufpreis von ebenfalls 40.000 €. Die GmbH übertrug anschließend den vom Erblasser erworbenen Miteigentumsanteil auf den Kläger.
Mit seiner Klage verfolgt der Kläger die Übertragung des (zweiten) Miteigentumsanteils.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen keine Nichtigkeit des Kaufvertrages vom 8. November 2018.
Eine von dem Kläger behauptete Vereinbarung über die Vorauszahlung des Kaufpreises für den zweiten Miteigentumsanteil ist beurkundungsbedürftig und wäre daher nach § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 125 Satz 1BGB nichtig, weil sie nicht notariell beurkundet wurde. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats unterliegt die Einigung über die Anrechnung einer Vorauszahlung auf die Kaufpreisforderung aufgrund ihrer konstitutiven rechtlichen Bedeutung dem Beurkundungszwang nach § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB, da die Kaufpreisforderung im Zeitpunkt der Vorauszahlung noch nicht besteht und die Vorauszahlung daher (ohne Vereinbarung) nicht schon von Rechts wegen zu einer Teilerfüllung der Kaufpreisschuld führen könnte. Aus diesem Grund ist die Vorauszahlungsvereinbarung beurkundungsbedürftig und mangels Beurkundung nichtig.
Damit steht jedoch die Gesamtnichtigkeit des notariellen Kaufvertrags vom 8. November 2018 nach § 139 BGB nicht fest. Nach der Auslegungsregel des § 139 BGB ist dies zwar zu vermuten, jedoch kann im Falle einer Kaufpreisvorauszahlung bei Vorliegen besonderer Umstände die Vermutung widerlegt sein. Nach der ständigen Rechtsprechung kommt dies beispielsweise dann in Betracht, wenn der Käufer die im Voraus geleistete Zahlung auf den Kaufpreis beweisen kann, weil es für ihn dann von untergeordneter Bedeutung sein kann, ob seine Kaufpreisschuld schon im Zeitpunkt ihrer Entstehung erlischt oder ob die Tilgung der Schuld noch von weiteren Rechtshandlungen abhängt. In diesem Zusammenhang wird vom Käufer jedoch nicht verlangt, den Abschluss einer entsprechenden Vorauszahlungsabrede und deren Fortbestehen bei Abschluss des notariellen Kaufvertrages zu beweisen.
Beweist der Käufer, dass seine Zahlung auf die noch nicht bestehende Kaufpreisforderung erfolgt ist, lässt dies den Schluss zu, dass die Parteien sich auch ohne eine Anrechnungsabrede auf den beurkundeten Teil des Rechtsgeschäfts verständigt hätten. Dies kann beispielsweise bei Erteilen einer Quittung des Verkäufers über die Zahlung der Fall sein. Entscheidend ist, dass der Käufer zweifelsfrei nachweisen kann, aus seiner Perspektive vor Vertragsschluss eine Zahlung auf die noch nicht bestehende Kaufpreisschuld geleistet zu haben. Der Umstand, dass der Kaufvertrag keinen Hinweis auf die Vorauszahlungsvereinbarung enthält, kann die Vermutung nicht widerlegen, da die Nichtigkeit des Kaufvertrages gerade aus der fehlenden Beurkundung der Vorauszahlungsabrede folgt. Andernfalls bedürfe es keines Beweises zur Widerlegung der Vermutung nach § 139 BGB.
Im vorliegenden Fall ergibt sich jedoch aus den vom Kläger vorgelegten Überweisungen kein solcher Beleg der Kaufpreiszahlung. Auch wenn Überweisungsträger grundsätzlich ausreichen können, fehlt es hier an einer entsprechenden Tilgungsbestimmung, da sich die Überweisungsnachweise ausdrücklich auf den Kaufvertrag vom 23. März 2017 über den ersten Miteigentumsanteil bezogen. Auch aus der Sicht des Klägers enthielten diese Belege daher keine Tilgungsbestimmung, welche sich auf den zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossenen Kaufvertrag über den zweiten Miteigentumsanteil bezogen hätten.
Jedoch kann die als „Immobilien-Übergabeprotokoll“ bezeichnete Erklärung der Parteien vom 15. Mai 2017 aus Sicht des Klägers geeignet sein, den erforderlichen Nachweis über die Vorauszahlung auf den Kaufpreis für den zweiten Miteigentumsanteil zu erbringen. Denn in diesem wurde von beiden Parteien gemeinsam erklärt, dass der Kläger 80.000 € des Kaufpreises für die Immobilie gezahlt habe, wobei 40.000 € einen „Vorschuss für den Rest des Gebäudes“ darstellen und die Parteien anerkannten, „dass sie keine weiteren Ansprüche haben“.
Die Frage, ob die Vorauszahlungsabrede auch im beurkundeten Kaufvertrag erwähnt werden muss, stellt ein wiederkehrendes Problem dar. Trotz vereinzelter Kritik in der Literatur (siehe Singer, JR 1983, 356), wird dies heute grundsätzlich bejaht. Die Konstellation der Vorauszahlungsabrede hat in der Beurkundungspraxis insbesondere im Zusammenhang mit dem „Schwarzkauf“ Bedeutung, bei dem in Wirklichkeit ein höherer Kaufpreis vereinbart wurde und der nicht beurkundete Teil des vereinbarten Kaufpreises vorher gezahlt wurde (dazu auch BGH, Urteil vom 20.09.1985 – V ZR 148/84). Fehlt in der Urkunde bereits die vom Käufer behauptete Abrede, so stellt dies ein gewisses Indiz für einen unwirksamen Schwarzkauf dar (Keim, NJW 2024, 3066).
In ähnlicher Weise behandelt die Rechtsprechung auch nicht mitbeurkundete Verrechnungsvereinbarungen (siehe BGH, Urteil vom 17.03.2000 – V ZR 362/98). Diese unterliegen grundsätzlich der Beurkundungspflicht; einer Formunwirksamkeit kann jedoch durch den Nachweis der Begleichung des Kaufpreises abgeholfen werden. Problematisch wird es, wenn die Gegenforderungen unklar bleiben, da in diesem Fall ein offener Dissens vorliegt. Dies führt dazu, dass der Vertrag nach § 154 BGB noch nicht wirksam zustande gekommen ist (Keim, NJW 2024, 3066).