OLG Brandenburg 7 U 8/23
Wirtschaftliche Gleichstellung des Dritten im familiären Firmengeflecht mit Gesellschafter wegen treuhänderisch gehaltener Geschäftsanteile – Tabellenfeststellungsklage – Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht

11.12.2024

Leitsatz | OLG Brandenburg 7 U 8/23

  1. Dass der Dritte aufgrund einer notariell getroffenen Treuhandabrede einen 50-prozentigen Geschäftsanteil an der Gesellschafterin einer Gesellschafterin der Insolvenzschuldnerin treuhänderisch hält, steht der Anwendung von § 39 I Nr. 5 InsO nicht entgegen, da die Treuhandabrede nur im Innenverhältnis Beschränkungen auferlegt. Es genügt die abstrakte Möglichkeit der Ausübung unternehmerischen Einflusses.
  2. Besteht die Möglichkeit der Einflussnahme auf die wirtschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten trotz der im Innenverhältnis ggf. wirkenden Treuhandabrede, besteht eine dem Gesellschafter gleichkommende rechtliche Mitwirkungs- und Lenkungsmöglichkeit i.S.d. § 39 I Nr. 5 InsO.
  3. Eine familiäre Verbundenheit eröffnet für sich genommen nicht die Anwendung des § 39 I Nr. 5 InsO.

Sachverhalt | OLG Brandenburg 7 U 8/23

Die Klägerin ist Insolvenzverwalterin des Landwirts L, der bewirtschaftete die Flächen von Familienangehörigen und pachtete von seinem Bruder H 146 ha. land- und forstwirtschaftliche Fläche. Außerdem übernahm er die Haftung für Verbindlichkeiten einer durch H gesteuerten AG. L war mittelbarer Gesellschafter der AP-GmbH, hielt aber seinen Anteil treuhänderisch für die B-AG. In diesem Rahmen war L auch in die Geschäfte einer von seinem Bruder gesteuerten Firmengruppe involviert. L hatte Leistungen gegenüber der AP-GmbH erbracht. Diese rechnete er zwar ab, aber aufgrund von Liquiditätsproblemen der Firma stundete L seine Forderungen. Die Klägerin meldete die Forderungen von L zur Insolvenztabelle der AP-GmbH an. Der Beklagte, Insolvenzverwalter der AP-GmbH, bestreitet die Forderungen und hält sie für nachrangig gemäß § 39 I Nr. 5 InsO.

Die Klägerin behauptet hingegen, dass die Forderungen nicht als nachrangig betrachtet werden sollten, da der Insolvenzschuldner nur treuhänderisch am Gesellschaftsanteil beteiligt war und daher nicht als direkter Gläubiger eines Gesellschafterdarlehens angesehen werden kann. Sie beruft sich auf die rechtliche Definition von Gesellschaftern gemäß Insolvenzordnung und betont, dass der Insolvenzschuldner keine direkte Einflussnahme auf die Geschäfte der GmbH hatte. Daher argumentiert sie, dass die Forderungen Vorrang haben sollten. Die Klägerin verlangt mithin die Feststellung einer Vielzahl von Forderungen zur Insolvenztabelle, die im Zeitraum von 2015 bis 2018 entstanden sind.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und entschieden, dass die gestundeten Forderungen als nachrangige darlehensähnliche Verbindlichkeiten anzusehen seien. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und betont, dass der Insolvenzschuldner keine Gesellschafterstellung innehatte, die es rechtfertigen würde, die Forderungen als nachrangig zu betrachten. Der Beklagte hält jedoch an seiner Argumentation fest, dass die Forderungen nachrangig seien.

Entscheidung | OLG Brandenburg 7 U 8/23

Die Berufung war unbegründet.

Die Gerichte beurteilen die gestundeten Forderungen als Darlehensgewährung im Sinne von § 39 I Nr. 5 InsO. Obwohl L kein direkter Gesellschafter der AP-GmbH war, wird er wirtschaftlich den Gesellschaftern gleichgestellt, da er mittelbar an der Gesellschaft beteiligt war. Daher steht die Darlehensgewährung wirtschaftlich einem Gesellschafterdarlehen gleich. Der Gesellschafter könnte sich sonst seiner Verantwortung entziehen, indem er Gesellschaften dazwischenschaltet. Die Treuhandabreden, die den Insolvenzschuldnern auferlegt wurden, stehen der Anwendung von § 39 I Nr. 5 InsO nicht entgegen, da sie nur im Innenverhältnis Beschränkungen auferlegen. Der Maßgeblichkeit der Treuhandabrede steht zudem entgegen, dass die beiden Brüder faktisch über die wirtschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten aller beteiligten Gesellschaften entscheiden und wirtschaftlich durch das aufgebaute Firmengeflecht gegenseitig gegenüber berechtigt und verpflichtet sind (Parzinger, FD-InsR 2024, 801730). Auch die familiäre Verbundenheit der Insolvenzschuldner reicht somit nicht aus, um den Nachrang der Forderungen zu rechtfertigen, da die wirtschaftliche Gleichstellung mit Gesellschaftern aufgrund ihrer Beteiligung besteht.

Praxishinweis | OLG Brandenburg 7 U 8/23

Der wirtschaftliche Einfluss allein löst keinen Nachrang aus, sondern es kommt auf rechtlich verbürgte Einflussmöglichkeiten an (Parzinger, FD-InsR 2024, 801730). Das rührt daher, dass der darlehensgebende Gesellschafter, anders als ein sonstiger Darlehensgeber, typischerweise über besondere Informations- und Steuerungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Darlehensnehmerin verfügt. Außerdem kann er am Gewinn der Darlehensnehmerin teilhaben (Dahl/Taras, NJW-Spezial 2024, 118).

Im Innenverhältnis zu einem Dritten wirkende Beschränkungen eines mittelbaren Gesellschafters des Schuldners stehen dem Nachrang seiner Forderungen in der Insolvenz des Schuldners mithin nicht entgegen, solange im Außenverhältnis die Rechte eines Gesellschafters und eine wirtschaftliche Teilnahme gegeben sind. Dadurch wird eine uferlose Prüfung der konkreten wirtschaftlichen Teilnahme- und Einflussmöglichkeiten jenseits der Gegebenheiten im Außenverhältnis vermieden (Parzinger, FD-InsR 2024, 801730).

Der Sinn und Zweck der angeordneten Subordination ist es nämlich diese Vorteile zu kompensieren. Hierdurch sollen unter anderem besondere Risikoanreize, die mit der Möglichkeit der Teilhabe des Darlehensgebers am Gewinn der Gesellschaft einhergehen, gedämpft werden. Verfügt der Darlehensgeber ausnahmsweise nicht über eine entsprechende Teilhabemöglichkeit, weil er – wie vorliegend – wirtschaftlich nicht an der Insolvenzschuldnerin beteiligt ist, stellt sich automatisch die Frage, ob ein Nachrang gerechtfertigt ist (Dahl/Taras, NJW-Spezial 2024, 118).