BFH IV R 37/22
Zur Mitunternehmerstellung des durch einen Nießbrauch an einem Kommanditanteil Begünstigten

10.12.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
02.07.2025
IV R 37/22
BeckRS 2025, 27837

Leitsatz | BFH IV R 37/22

  1. Wird ein Nießbrauch am Anteil an einer Personengesellschaft bestellt, ist der Begünstigte nur dann Mitunternehmer im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes, wenn er Mitunternehmerinitiative entfalten kann und Mitunternehmerrisiko trägt (Bestätigung der Rechtsprechung).
  2. Ist der Nießbrauch dem gesetzlichen Leitbild folgend so ausgestaltet, dass der Nießbrauchberechtigte weder an den stillen Reserven im Gesellschaftsvermögen noch unmittelbar am Verlust der Gesellschaft beteiligt ist, trägt der Nießbrauchberechtigte kein Mitunternehmerrisiko. Dass er Verluste mittelbar zu tragen hat, sofern diese den Kapitalanteil des Kommanditisten unter den Betrag der Pflichteinlage mindern, und bis zur Wiederauffüllung des Kapitalanteils keine Entnahmen getätigt werden dürfen, reicht für die Annahme eines Mitunternehmerrisikos nicht aus. Nur dann, wenn der Nießbrauchberechtigte abweichend vom gesetzlichen Leitbild in anderer Weise ein unternehmerisches Verlustrisiko trägt, durch das sein Vermögen belastet werden kann, trägt er ein Mitunternehmerrisiko (Klarstellung und Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt | BFH IV R 37/22

Der Kläger zu 1. war alleiniger Kommanditist der Klägerin zu 2., einer Kommanditgesellschaft, deren Komplementärin die X-GmbH war. Zugleich war der Kläger zu 1. alleiniger Geschäftsführer der X-GmbH und damit sowohl auf Ebene der Komplementärin als auch auf Ebene der Kommanditgesellschaft maßgeblich bestimmend tätig.

Ferner war der Kläger zu 1. alleiniger Kommanditist der V-KG, deren Gesellschaftszweck in der Verwaltung des eigenen Vermögens bestand. Komplementärin dieser Gesellschaft war die D-GmbH, deren einziger Gesellschafter und Geschäftsführer ebenfalls der Kläger zu 1. war. Damit hielt der Kläger zu 1. sämtliche wesentlichen gesellschaftsrechtlichen Einflussmöglichkeiten in Personalunion.

Mit notariellem Vertrag vom 30. Juli 2013 übertrug der Kläger zu 1. seinen Kommanditanteil an der Klägerin zu 2. unentgeltlich zu gleichen Teilen (je ein Drittel) auf seine drei Söhne. Diese Übertragung erfolgte unter bestimmten Schenkungsauflagen. Zum einen war die Bestellung eines unentgeltlichen Ertragsquotennießbrauchs in Höhe von 70 Prozent an der V-KG vorgesehen, zum anderen sollte festgelegt werden, dass die geschenkten Kommanditanteile unmittelbar nach Abschluss des Nießbrauchvertrages gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten in die vermögensverwaltende F-KG eingebracht werden.

Im Mai 2015 erfolgte eine gesellschaftsrechtliche Umstrukturierung: Die W-Ltd. trat an die Stelle der D-GmbH als Komplementärin der V-KG. Zeitgleich wurde B als weiterer Kommanditist der V-KG aufgenommen, ohne selbst eine Kommanditeinlage zu leisten oder am Kommanditkapital beteiligt zu sein, jedoch ausgestattet mit umfassenden Geschäftsführerbefugnissen. Bereits im Juni 2015 veräußerte B seinen Anteil an den Kläger zu 1. zurück.

Mit Wirkung zum 31. Mai 2015 brachte der Kläger zu 1. seinen Kommanditanteil an der V-KG als Einlage in die N-Ltd. ein, um deren Kapitalrücklage zu stärken.
Streitentscheidend war sodann die steuerliche Behandlung der Nießbrauchsbestellung. Die Klägerin zu 2. zog im Rahmen der Gewinnermittlung die mit dem Nießbrauch verbundenen Ertragsverpflichtungen gewinnmindernd ab. Fraglich war demnach, ob der Kläger zu 1. als Mitunternehmer im Sinne des § 15 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 EStG anzusehen war und ihm ein Anteil am Gesamthandsgewinn der Klägerin zu 2. zugerechnet werden konnte.

Entscheidung | BFH IV R 37/22

Die Revision der Kläger hatte teilweise Erfolg.

Der Bundesfinanzhof stellte klar, dass ein Nießbrauchsberechtigter an einem Gesellschaftsanteil einer Personengesellschaft nur dann als Mitunternehmer im Sinne des § 15 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 EStG zu qualifizieren ist, wenn er sowohl Mitunternehmerinitiative entfalten kann als auch Mitunternehmerrisiko trägt.

Mitunternehmer im Sinne der steuerrechtlichen Vorschrift ist grundsätzlich, wer zivilrechtlich Gesellschafter einer Personengesellschaft ist oder – ausnahmsweise – eine dem Gesellschafter wirtschaftlich vergleichbare Stellung innehat, insbesondere Mitunternehmerrisiko übernimmt und Mitunternehmerinitiative ausübt. Das bloße Vorliegen eines ausgeprägten Mitunternehmenseinflusses genügt nicht.

Im vorliegenden Fall fehlte es dem Kläger zu 1. an einem hinreichenden Mitunternehmerrisiko. Nach dem gesetzlichen Leitbild des Nießbrauchs (§§ 1030 ff. BGB) handelt es sich bei diesem um ein reines Fruchtziehungsrecht. Es vermittelt dem Begünstigten zwar die Befugnis, die Nutzungen des Vermögensgegenstands zu ziehen, begründet aber keine Haftung oder Beteiligung an Verlusten oder stillen Reserven der Gesellschaft. Das aus dem Nießbrauch resultierende Nutzungsrecht schließt ein Mitunternehmerrisiko begrifflich aus, da der Begünstigte an Verlusten der Gesellschaft nicht teilnimmt und vielmehr nur in den Genuss positiver Erträge gelangt.

Auch eine mittelbare Verlusttragung, etwa in Gestalt einer vorübergehenden Minderung des Kapitalanteils unterhalb der Pflichteinlage bei gleichzeitiger Entnahmebeschränkung, genügt nicht, um ein steuerlich relevantes Mitunternehmerrisiko zu begründen. Es verbleibt bei einer reinen Nutzungsherrschaft ohne Kapitalrisiko.

Da der Kläger zu 1. infolge der Übertragung seiner Kommanditanteile nicht mehr Gesellschafter der Klägerin zu 2. war und die Ausgestaltung des Nießbrauchs den Anforderungen einer Mitunternehmerschaft nicht genügte, konnte ihm kein Anteil am Gesamthandsgewinn der Klägerin zu 2. zugerechnet werden.

Praxishinweis | BFH IV R 37/22

Der Bundesfinanzhof hat mit dieser Entscheidung seine Rechtsprechung zur steuerlichen Beurteilung des Nießbrauchs an Personengesellschaftsanteilen weiter präzisiert. Nach dem gesetzlichen Leitbild stellt der Nießbrauch ein reines Nutzungsrecht dar, das keine mitunternehmerische Beteiligung begründet. Wer lediglich Erträge aus einem Gesellschaftsanteil bezieht, ohne ein eigenes wirtschaftliches Verlustrisiko zu tragen, ist kein Mitunternehmer im Sinne des § 15 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 EStG.

Damit genügt selbst eine weitreichende Mitunternehmerinitiative, etwa in Form von Informations- oder Mitwirkungsrechten, nicht, um die erforderliche Mitunternehmerstellung zu begründen. Entscheidend ist stets, ob der Nießbrauch über das gesetzliche Leitbild hinaus gestaltet wurde und ob der Begünstigte ein echtes wirtschaftliches Risiko trägt.

Für die steuerliche Gestaltungspraxis ergibt sich hieraus die Notwendigkeit sorgfältiger Vertragsformulierung: Sollen Nießbrauchsrechte an Gesellschaftsanteilen übertragen werden, ohne dass eine Mitunternehmerschaft begründet wird, ist strikt auf die Einhaltung des gesetzlichen Leitbilds zu achten. Werden hingegen Rechte eingeräumt, die über bloße Nutzung hinausgehen und den Begünstigten wirtschaftlich einem Gesellschafter annähern, kann eine Mitunternehmerstellung steuerlich begründet werden.