21.10.2024
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
BFH
17.08.2023
III R 37/20
NZG 2023, 1528
Der Kl. war alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der B-GmbH und erwarb im Jahr 2016 sämtliche Geschäftsanteile an der B-GmbH. Mit Vertrag vom 29.06.2016 übertrug die B-GmbH ihr Vermögen als Ganzes im Wege der Verschmelzung durch Aufnahme auf das Einzelunternehmen des Kl. Die Verschmelzung wurde im Handelsregister des übernehmenden Rechtsträgers eingetragen und erfolgte rückwirkend auf den 01.01.2016 und mit steuerlicher Wirkung zum 31.12.2015 (steuerlicher Übertragungsstichtag).
Die B-GmbH erfasste die übergehenden Wirtschaftsgüter in ihrer steuerlichen Schlussbilanz zum 31.12.2015 grundsätzlich mit den gemeinen Werten gem. § 3 Abs. 1 S. 1 UmwStG 2006. Die betreffende Pensionsrückstellung des Klägers wurde gem. § 3 Abs. 1 S. 2 UmwStG 2006 mit dem Wert erfasst, der gem. § 6a EStG in der für das Streitjahr 2015 geltenden Fassung ermittelt wurde.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2015 ermittelten die Kläger einen Verschmelzungsgewinn aus steuerpflichtigen gewerblichen Einnahmen gem. § 7 S. 1 UmwStG 2006 sowie einem negativen Übernahmeergebnis gem. § 4 UmwStG 2006 (Übernahmeverlust). Das beklagte FA ließ im Einkommenssteuerbescheid 2015 den von den Klägern erklärten Übernahmeverlust nicht zum Abzug zu. Der Einspruch und die Klage der Kläger blieben ohne Erfolg. FA und FG waren der Ansicht, dass ein Übernahmeverlust gem. § 4 Abs. 6 S. 6 Alt. 2 UmwStG 2006 nicht berücksichtigt werden könne, weil die Anteile an der übertragenden Körperschaft innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem steuerlichen Übertragungsstichtag entgeltlich erworben worden seien.
Die Revision ist unbegründet. Nach Ansicht des BFH habe das FG zu Recht entschieden, dass der Übernahmeverlust gem. § 4 Abs. 6 S. 6 Alt. 2 UmwStG 2006 außer Ansatz bleibt.
Gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 UmwStG 2006 seien die übergehenden Wirtschaftsgüter bei einer Verschmelzung auf eine natürliche Person grundsätzlich mit dem gemeinen Wert in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Körperschaft anzusetzen. Jedoch gelte gem. § 3 Abs. 1 S. 2 UmwStG 2006 für die Bewertung von Pensionsrückstellungen § 6a EStG, wonach höchstens der Teilwert der Pensionsverpflichtung gem. § 6a Abs. 3 EStG passiviert werden dürfe. Infolge des Vermögensübergangs bei der Verschmelzung einer Kapitalgesellschaft auf eine natürliche Person ergebe sich gem. § 4 Abs. 4 2006 entweder ein Übernahmegewinn oder ein Übernahmeverlust. Ein Übernahmeverlust bleibe gem. § 4 Abs. 6 S. 6 Alt. 2 UmwStG 2006 vollständig außer Ansatz, soweit die Anteile an der übertragenden Körperschaft innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem steuerlichen Übertragungsstichtag entgeltlich erworben wurden.
Zunächst stellt der BFH, in Übereinstimmung mit dem FG und der vorherrschenden Meinung in der Literatur, fest, dass sich § 4 Abs. 6 S. 6 Alt. 2 UmwStG 2006 auf sämtliche Anteile beziehe, die an der Ermittlung des negativen Übernahmeergebnisses beteiligt sind. Diese Vorschrift sei demnach unabhängig davon anwendbar, ob die Anteile im Privat- oder – wie vorliegend – im Betriebsvermögen gehalten werden.
Nach Ansicht des BFH greife das Verlustabzugsverbot des § 4 Abs. 6 S. 6 Alt. 2 UmwStG 2006 im vorliegenden Fall. In chronologischer Hinsicht erfolgte der Erwerb der Anteile an der B-GmbH zwar erst im Jahr 2016 und damit nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag (31.12.2015), sodass der Wortlaut des § 4 Abs. 6 S. 6 Alt. 2 UmwStG 2006 für sich betrachtet nicht erfüllt sei. Der Anteilserwerb falle gleichwohl in den Fünfjahreszeitraum vor dem steuerlichen Übertragungsstichtag aufgrund der in diesem Zusammenhang anzuwenden Rückwirkungsfiktion des § 5 Abs. 1 UmwStG 2006, wonach der Gewinn so zu ermitteln sei, als hätte der übernehmende Rechtsträger die Anteile am steuerlichen Übertragungsstichtag angeschafft. Dabei falle auch der steuerliche Übertragungsstichtag selbst in den Fünfjahreszeitraum. Hierfür spreche nach Auffassung des BFH die entsprechende Anwendung des bürgerlich-rechtlichen Fristenrechts (vgl. § 108 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 187, 188 BGB) und die teleologische Auslegung der Norm (Vermeidung einer zweckwidrigen Ungleichbehandlung).
Eine Berücksichtigung des Übernahmeverlustes durch eine teleologische Reduktion des § 4 Abs. 6 S. 6 Alt. 2 UmwStG 2006 komme zudem nicht in Frage, da das Abzugsverbot dem Zweck der Norm entspreche. Die Norm ziele darauf ab, missbräuchliche Gestaltungen in zeitlicher Nähe zum Übertragungsstichtag auf vereinfachte Weise zu verhindern, ohne das Vorliegen einer missbräuchlichen Gestaltung zur Tatbestandsvoraussetzung zu machen. Der abweichende Wertansatz für Pensionsrückstellungen entspreche ebenfalls dem Zweck der Norm. Ebenso sei eine Berücksichtigung des Übernahmeverlustes durch eine teleologische Reduktion des § 7 UmwStG 2006 ausgeschlossen, da die Norm ausdrücklich auf das in der Steuerbilanz ausgewiesene Eigenkapital und nicht auf den Wertansatz in der Handelsbilanz abziele.
Abschließend stellt der BFH fest, dass § 4 Abs. 6 S. 6 Alt. 2 UmwStG 2006 und § 7 UmwStG 2006 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden seien.
Der BFH entscheidet die für die steuerliche Gestaltungspraxis bedeutende Frage, dass eine rückwirkende Verschmelzung im Falle eines prognostizierten Übernahmeverlustes nicht dazu führt, dass die Missbrauchsvermeidungsnorm des § 4 Abs. 6 S. 6 Alt. 2 UmwStG 2006 umgangen werden kann. Diese Entscheidung dürfte in Verschmelzungskonstellationen mit Übernahmeverlusten zu mehr (Steuer-) Rechtssicherheit führen, sofern das UmwStG von 2006 anzuwenden ist.
Der BFH hat allerdings offengelassen, ob die in § 4 Abs. 6 S. 6 Alt. 2 UmwStG genannte „rückwärtslaufende“ Frist von fünf Jahren eine Ereignisfrist (gem. § 187 Abs. 1 BGB) oder eine Beginnfrist (gem. § 187 Abs. 2 BGB) darstellt, da diese Unterscheidung nur für den letzten Tag der Rückwärtsfrist relevant sei. Obgleich der Übertragungsstichtag bei Annahme einer Ereignisfrist und entsprechender Anwendung des § 187 Abs. 1 BGB für die Fristberechnung nicht mitgezählt werden dürfte, fällt er nach Ansicht des BFH dennoch in den Fristzeitraum.